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Baudenkmal DIZ

Das ehemalige Verwaltungsgebäude der DAG (1938-45) und heutige DIZ, Juni 2020.

1994 als erste Gedenkstätte in Deutschland über Zwangsarbeit eingeweiht, ist das DIZ auch Denkmal durch das Gebäude, in dem es untergebracht ist. Der stattliche Bau in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs ist das ehemalige, 1938/39 errichtete Verwaltungsgebäude des Rüstungskonzerns DAG (Dynamit Nobel AG). Er ist ein "Tatort" der "Schreibtischtäter" des "3. Reiches" und eines der letzten vollständig erhaltenen Baudenkmale des 1938-45 betriebenen Rüstungsindustriestandorts des NS-Regimes in Stadtallendorf. Seit Eröffnung des DIZ und der damit verbundenen umfangreichen Rekonstruktionen 1994 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Die sehr wechselhafte Geschichte des Gebäudes von seiner Errichtung über seine zahlreichen Nach- und Umnutzungen bis hin zur jetzigen Funktion als Gedenkstätte ist für die Geschichte und den Strukturwandel Stadtallendorfs exemplarisch.

Allierte Luftaufnahme des DAG-Verwaltungsgebäudes und des Bahnhofs Allendorf, 1943-45.

1938: Wald und Wasser und keine größere Ortschaft in der Nähe - das sind die Kriterien der Auswahl von Standorten für Sprengstoff- und Munitionsfabriken durch das NS-Regime und seine Kriegswirtschaft. Im Herrenwald in der Nähe von Allendorf werden ab 1938 durch DAG und WASAG ca. 650 Fabrikgebäude mitten in Wald und Heide errichtet. Abgesehen von der näher gelegenen baulich ähnlichen Großküche (heute ein Schulgebäude) steht der Verwaltungsbau (im Bild rot eingekreist) "allein auf weiter Flur", d.h. von dem Ort Allendorf wie von den gefährlichen, hochexplosive und stark giftige Sprengstoffchemie verwertenden Fabrikgebäuden gleichermaßen weit entfernt.

Allierte Luftaufnahme des DAG-Verwaltungsgebäudes (Vergrößerung).

Die Aufnahme zeigt auch, dass der Vorplatz des Verwaltungsgebäudes bereits 1938-45 parkähnlich durch nierenförmige Rasen- und Pflanzflächen begrünt war.

Das Gebäude des heutigen DIZ Stadtallendorf im Jahr 1951.

1945: Zerschlagene Fensterscheiben, verwahrloster Garten, Bretterverschläge - das ehemalige Verwaltungsgebäude wird nur kurz von den Allierten als Sitz der Militäradministration genutzt und dient dann als dringend benötigte Unterkunft für Flüchtende und Vertriebene. Zu dem Verwaltungsgebäude im Herrenwald gehören weitere so genannte "Flurstücke", auf denen ab 1948 neue Unterkünfte für Vertriebene entstehen, z.B. die "Herrenwald-Siedlung". Das Gebäude selbst wird nicht saniert.

Das heutige DIZ Stadtallendorf auf einer Bildpostkarte Mitte der 1950er Jahre.

1954: Mitten in den Wirtschaftswunderjahren wird in Allendorf die "Aufbaugesellschaft" gegründet. Sie soll das Wirtschaftswachstum des jungen Industriestandortes weiter steigern. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der DAG wird von der Aufbaugesellschaft gekauft und deren Amtssitz in "altem Glanz", das dann so genannte "Aufbaugebäude". Obwohl dies bei einer Instandsetzung möglich wäre, wird der Bau nicht modernisiert, sondern seine Gestalt aus der NS-Zeit wiederhergestellt. Sogar die unkenntlich gewordene Vorplatz-Begrünung wird erneuert. Mahnmale oder Erinnerungen an die Funktion des Gebäudes vor 1945 jedoch fehlen.

Siedlungen von Allendorf auf dem Terrain des ehemaligen Rüstungsindustriestandortes mit dem "Aufbaugebäude" im Vordergrund, Bildpostkarte Ende der 1950er Jahre.

Um 1960: Allendorf wächst und wächst. Vom "Aufbaugebäude" aus weiten sich die Siedlungen in das ehemals unbebaute Gelände des Herrenwaldes aus. Nach und nach erreichen die Wohnbauten die einst sehr weit vom Bahnhof entfernten Sprengstoff-Produktionsanlagen. Die Stadtentwicklung bewirkt, dass das ehemalige Verwaltungsgebäude (im Bild roter Kreis unten) und die in großer Distanz dazu errichteten früheren Fabriken der DAG (im Bild roter Kreis oben) zu einem städtischen Zusammenhang aufschließen.

Stadtallendorf, Bildpostkarte um 1970.

Um 1970: Luftbilder von Stadtallendorf zeigen, dass die Fabrikanlagen der NS-Zeit immer mehr von den Industriegründungen und den Siedlungen der Nachkriegszeit umfangen werden. Aus der zentralen, die einzelnen Standorte der Sprengstofffabrikation verbindenden Transport-Trasse wird eine Einkaufsstraße, Munitionswerke werden zu Möbelhäusern oder Gaststätten, Bunker werden zu Bungalows. Die Ausdehnung der Stadt gibt so gut wie allen Bauwerken der DAG eine neue Funktion - dem ehemaligen Verwaltungsgebäude (im Bild rot eingekreist) aber nicht.

Das heutige DIZ Anfang der 1980er Jahre, private Fotografie.

1966: Die "Aufbaugesellschaft" beendet ihre Arbeit und löst sich auf. Das "Aufbaugebäude" wird an private Investoren verkauft. In der Folgezeit ist es zunächst Postgebäude, dann in Teilnutzung Gaststätte und Unterkunft für Geflüchtete und Gastarbeiter. Der Vermieter lässt den Bau so sehr verwahrlosen, dass er in der Stadt als "Schandfleck" gilt (Oberhessische Presse, 19.Oktober 1985).

Das DIZ Stadtallendorf 1994.

1994: Sanierung und Ausbau des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der NS-Zeit und "Aufbaugebäudes" der 1950er Jahre sind abgeschlossen. Der Rückkauf des Baus 1985 durch die Stadt gibt dem Haus eine neue alte, seiner Gestalt und seinem städtebaulichen Standort angemessene Funktion als Verwaltungssitz. Das Gebäude beherbergt jetzt die städtische Polizei, seit 1988 wurde in einer Arbeitsgruppe über die zusätzliche Nutzung des Hauses als Gedenkstätte beraten. Die Sanierung trägt der Vorgeschichte des Bauwerkes Rechnung durch eine Umgestaltung des Vorplatzes. Die aus der NS-Zeit stammende parkähnliche Begrünung wird nicht erneuert, sondern durch eine symbolische, an Appell- oder Aufmarschplätze erinnernde Anlage aus Sockeln und Treppen politisch inszeniert. Zunächst in Form einer demokratisch volksnahen Piazza mit Fontäne und Wasserspielen (im Bild rot eingekreist).

Das DIZ Stadtallendorf 1994, Vorplatz mit Fontäne und Wasserspielen (Vergrößerung).

Das ehemalige Verwaltungsgebäude der DAG (1938-45) und heutige DIZ, Juni 2020.

2020: Im Lauf der letzten 25 Jahre haben sich die Fontäne und das Wasserspiel im täglichen Gebrauch als zu anfällig erwiesen und wurden rückgebaut. Der kalte, an Appell- oder Aufmarschplätze des "3.Reiches" erinnernde Charakter des Vorplatzes ist jetzt noch prägender. Die Schmucklosigkeit lässt zugleich die baulichen Eigenheiten der Architektur überdeutlich hervortreten, nichts lenkt mehr davon ab. Das Haus steht wie auf einem Tablett und wird buchstäblich "ausgestellt". Diese Herausstellung und die Kargheit des Ambientes wirken wie eine mahnmalhaft überhöhende Inszenierung des seinerzeit typischen so genannten "Heimatschutzstil" des vermutlich von Karl Rumpf (1885-1968) errichteten ehemaligen Verwaltungsgebäudes der DAG. Der völkische Baustil des Gebäudes wird so zu einem Element der Forschungs- und Gedenkstätte über den NS-Terror. Schon von weitem ist der Standort des DIZ als geschichtsträchtiger Ort zu erkennen.

Stadtallendorf in Bildpostkarten - Galerie